Müll wohin man sieht! Mit Citizen Science der Umweltverschmutzung auf der Spur

Zwei der 34 neu geförderten Sparkling-Science-Projekte widmen sich den Themen „Plastikmüll“ und „Elektroschrott“. Im Sparkling-Science-Projekt PLASTIC.ALPS untersucht das Team um die Gletscherforscherin Birgit Sattler (Universität Innsbruck) zusammen mit Schulklassen die Ausbreitung von Plastikabfällen im Hochgebirge. Der Technologie-Experte Munir Merdan (bee produced) möchte in seinem Projekt Recycling Heroes durch Citizen Science in Schulen die Kreislaufwirtschaft in der Elektronikindustrie fördern. In einem gemeinsamen Interview geben die beiden tiefere Einblicke in ihre Projekte.

Sie beide haben im Laufe der Jahre bereits mehrere erfolgreiche Sparkling-Science-Projekte geleitet und dabei unterschiedlichste Themen aus der Biologie und Technik beforscht: Gletscherschmelze, mikrobielles Leben im Hochgebirge, sowie zukunftsweisende semantische Technologien und Robotik. Wie kamen Sie auf die Idee, sich in Ihren aktuellen Citizen-Science-Projekten mit dem Thema „Plastikmüll“ bzw. „Elektroschrott“ auseinanderzusetzen?

Birgit Sattler: Die Idee zu PLASTIC.ALPS entstand tatsächlich aus einem Vorgängerprojekt COVER.UP aus dem Vorgängerprogramm „Sparkling Science“. Wir untersuchten damals auf einem Tiroler Gletscher die Auswirkungen künstlicher Gletscherabdeckungen zur Reduktion der Schmelze auf die Ökologie in Schnee und Eis. Erst gegen Projektende haben wir beim Abziehen der Fleece, welche über eine Sommersaison auf Gletschern ausgelegt werden, entdeckt, dass die Oberfläche plötzlich einen Plastikfaserbesatz wie einen Pelz hatte. Zudem wurde uns bei diesem Vorprojekt auch bewusst, mit wieviel Plastikmüll hochalpine Lagen belastet sind, vor allem in touristischen Regionen. Da war uns schnell klar, dass hier Handlungsbedarf besteht und es im Hochgebirge noch viel zu tun gibt.

Munir Merdan: Bei uns war es so, dass wir vor knapp zwei Jahren zu viert die bee produced GmbH gegründet haben. Dabei handelt es sich um ein marktorientiertes, forschungsbasiertes Startup mit dem ersten digitalen B2B-Marktplatz für lokale Elektronikfertigung. Unser Unternehmen bietet Deep-Tech-Lösungen für die Probleme in der Elektronik-Auftragsfertigung, wie z.B. die automatisierte Prüfung der Herstellbarkeit oder die Auswahl passender Hersteller. Durch unsere bisherigen positiven Sparkling-Science-Erfahrungen und die erfolgreiche Zusammenarbeit mit der TU Wien haben wir gemeinsam die Verantwortung und das Potenzial gesehen, neben der Fertigung auch das Elektronik-Recycling aufzugreifen. Wir sehen Sparkling Science als exzellente Möglichkeit, dieses gesellschaftlich relevante Thema voranzutreiben und in der Bildung zu verankern.

Berge mit Fundorten von Plastikmüll © Klemens Weisleitner

Kurz und knapp – worum geht es bei Ihren Projekten und wie können Citizen Scientists mitforschen?

Munir Merdan: Das Projekt „Recycling Heroes“ hat zum Ziel, das Bewusstsein über Elektroschrott vor allem bei Schüler/innen, aber auch allgemein in der Gesellschaft zu steigern. Dafür werden im Projekt Prinzipien der Kreislaufwirtschaft mit Citizen-Science-Methoden verbunden. Als Citizen Scientists beschäftigen sich einige Schüler/innen mit der Quantifizierung von Haushaltselektroabfällen und dem Entwurf spezifischer Strategien zur Förderung von Recycling. Sie entwickeln einen umfassenden Fragebogen und analysieren danach die Ergebnisse. Außerdem befassen sich weitere Schüler/innen mit der Entwicklung von elektronischen Produkten, welche im Rahmen von anderen aktuellen Citizen-Science-Projekten verwendet werden können, wie z.B. eine Wetterstation. Alle Schüler/innen können auch Herausforderungen und Potenziale für die Abfallminimierung identifizieren und entsprechende Lösungsansätze entwerfen und umsetzen. Weiters können jegliche Bürger/innen das Projekt mittels Teilnahme an einer Online-Umfrage unterstützen.

Birgit Sattler: Mikroplastik ist aktuell ein omnipräsentes Thema. Medien berichten regelmäßig über Plastikberge im Meer. Es zeigt jedoch, dass Mikroplastik auch vor dem Hochgebirge nicht Halt macht und sich in Schnee und Eis manifestiert. In PLASTIC.ALPS möchten wir ein wissenschaftliches Grundverständnis mit Schüler/innen und Citizen Scientists für die (Mikro-)Plastikbelastung im Hochgebirge schaffen über eine Qualifikation, Quantifikation und der Zuordnung derer Ursprünge und Verbreitungsvektoren. Citizen Scientists (Einzelpersonen, Schulklassen oder Familien) können aktiv über die Benutzung einer „littering app“ (Anm.: Vermüllungs-App) mit dem Namen „Dreckspotz“ dazu beitragen, indem Müll im Hochgebirge dokumentiert und kategorisiert wird. Es werden dazu regelmäßig Challenges um die meisten Einträge durchgeführt. Das Ziel - basierend auf den erhobenen Daten – ist ein konstruktiver Dialog mit Politiker/innen, Vertreter/innen der Seilbahnwirtschaft und NGOs zu Strategieänderungen für eine nachhaltige Nutzung von glazialen Lebensräumen im Alpenraum.

Schüler bei der Reperatur von Elektrogerät © bee produced GmbH
Person auf Skiern macht Foto mit Smartphone von Plastikmüll auf Schnee © Klemens Weisleitner

Frau Sattler, wie kommt denn die App „DreckSpotz“, mit der Freiwillige Daten zu Plastikmüll im Gebirge sammeln, bei Jung und Alt an?

Birgit Sattler: Die App bestand bereits vor unserem Projekt und war Vielen schon bekannt – auch in ihrer Anwendung, welche sehr intuitiv und ansprechend gestaltet ist. Durch PLASTIC.ALPS konnte die App gezielt auf das Thema Hochgebirge erweitert werden, was für die User/innen reizvoll ist. Vor allem die angekündigten Challenges, wo es um die Zahl der Einträge geht, finden großen Anklang. Die fleißigsten Müllspotter/innen erhalten auch Sachpreise von Patagonia. Lehrpersonen unterstützen uns dabei durch das Anlegen von Schulklassen-Accounts, Eltern wiederum durch einen Familien-Account. Dadurch wird das Thema dann noch mehr in Familien hineingetragen und thematisiert, was auch eines unserer Ziele ist.

Zitat auf türkisem Hintergrund

Durch Greta Thunberg und der daraus entstandenen Bewegung „Fridays for Future“ hat 2018 der Klimaschutz-Aktivismus weltweit die Klassenzimmer erobert. Inwieweit ist dieses Bewusstsein für den Klimawandel auch bei Ihren Schüler/innen sichtbar?

Munir Merdan: Wir haben bemerkt, dass die Notwendigkeit zum Klimaschutz bei den Schüler/innen angekommen ist. Einige Schüler/innen sind dabei mehr als andere darüber informiert und daran interessiert, aber wir haben gesehen, dass bei unseren Aktivitäten, wie den Schulprojekten oder Workshops sich alle sehr motiviert einsetzen und ihr Können und den Willen zeigen, Umweltschutz und Nachhaltigkeit zu fördern und etwas zum Projekt beizutragen. Dementsprechend sind wir überzeugt, dass es weitere theoretische und praktische Bildungsinhalte braucht, um das Bewusstsein weiterzuentwickeln und um zu zeigen, wie Menschen im täglichen Leben verantwortlich mit Ressourcen umgehen können.

Birgit Sattler: Auch wir beobachten in den Schulen eine extrem hohe Akzeptanz unserer wissenschaftlichen Themen und das Bewusstsein ist erstaunlich groß – oft sogar größer als in der Elterngeneration. Mit Skeptiker/innen sind wir noch nie konfrontiert gewesen. Dies zeigt doch den hohen Informationsgrad der Schüler/innen. Eine andere Sache ist jedoch dann die praktische Anwendung des Klimaschutzes. Klimaschutz bedeutet auch Verzicht und tut individuell im Alltag etwas weh – ich denke, in den Schulen (aber auch in unserer informierten Generation) ist noch viel Luft nach oben. Im aktuellen Projekt wird z.B. angestrebt, den Plastikkonsum im Alltag zu reduzieren. Das ist gar nicht so einfach – selbst bei gutem Willen.

Schüler beim Fotografieren von Elektroschrott © bee produced GmbH

Herr Merdan, im Rahmen Ihres Projekts „Recycling Heroes“ haben Sie mit Schüler/innen einen Film über Elektroschrott gedreht. Was haben Sie mit diesem Film in Zukunft geplant?

Munir Merdan: Im Rahmen des Projekts werden mehrere Videos produziert. Sie alle unterstreichen die Bedeutung des Elektroschrott-Recyclings aus verschiedenen Blickwinkeln. Sie basieren alle zu 100 % auf den Ideen und der Vorstellungskraft der Schüler/innen und werden auf Social-Media-Kanälen präsentiert, um das Bewusstsein für Elektroschrott in der Gesellschaft zu steigern. Neben den Videos sind wir aber auch sehr stolz auf andere Schulprojekte, wie z. B. eine nachhaltige Videowall, einen Online-Marktplatz für die Abgabe und Abholung von Elektroschrott, oder einen Adventskalender mit Türchen aus alten Druckern. Wie bei den Videos spielen auch hier die Schüler/innen eine federführende Rolle. Weitere Infos sind auf der Projekt-Webseite zu finden.

Zitat auf türkisem Hintergrund

Zum Abschluss eine Frage zum Förderprogramm Sparkling Science bzw. Sparkling Science 2.0: Was motiviert Sie dazu, immer wieder einzureichen?

Birgit Sattler: Der Gang in die Schule ist für uns immer eine Motivation – ehrlicher Weise auch eine Herausforderung – komplexe Vorgänge verständlich erklären zu können bzw. zu müssen. Umgekehrt erhalten wir oft ganz andere Sichtweisen von den Schüler/innen zurück – was uns in der Herangehensweise an das Thema oft sehr bereichert. Uns als Team ist Wissenschaftskommunikation besonders wichtig, da wir nur mit der Verbreitung von ökologischen Inhalten außerhalb des Schulbuches Samen für eine Veränderung säen und etwas in der Gesellschaft erreichen können. Die Zusammenarbeit mit der nächsten Generation ist in allen Belangen der Klimakrise eigentlich unausweichlich, denn sie sind die nächsten Entscheidungsträger/innen.

Munir Merdan: Wie Sie auch schon zu Beginn gesagt haben, kennen wir Sparkling Science schon seit mehreren Jahren und sind von dem Programm begeistert. Wir finden, dass es ein geniales Vehikel für Bildung ist, um wichtige gesellschaftliche Themen in einer Weise und Tiefe zu bearbeiten, die im regulären Unterricht nicht möglich wäre. Es ist beeindruckend zu sehen, wie die Schüler/innen mit viel Engagement ihre eigenen Ideen verwirklichen. So ist aus unserem letzten Sparkling-Science-Projekt das Startup „Carefact“ entstanden. Als Unternehmen sehen wir überdies eine sehr gute Möglichkeit, kompetente und motivierte Schüler/innen und somit vielleicht potenzielle Mitarbeiter/innen kennenzulernen.

Vielen Dank für das Interview! Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihren Projekten.


Das Projekt "PLASTIC.ALPS" ist Teil des Citizen Science Awards 2023, einem Wettbewerb für Schulklassen, Einzelpersonen und Familien. Teilnehmende können ab 1. April 2023 bei einem von acht Citizen-Science-Projekten mitforschen und Geld- sowie Sachpreise gewinnen.

 

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